Freunde, wir werden gestalkt!

Wir sind auf dem Weg zu unsrem Hotel in Mamallapuram, als uns ein dringendes menschliches Bedürfnis plagt. Fast haben wir das weiß getünchte Haus mit den schmalen Balkonen schon erreicht, als uns ein fülliger, gut gekleideter Mann in ein Gespräch verwickelt. Zu unserer Verblüffung verrät er uns nach ein wenigen Minuten, dass er Ragul heißt, Reisekaufmann ist und Touren durch den Süden von Indien anbietet.
„I have driver taxi see all beautiful places in Tamil Nadu“, sagt er, während wir von einem Bein aufs andre treten. „You friends sit here I make good price.“
Zwar in Nöten, sind wir dennoch erfreut, in der Fremde so schnell einen Freund gefunden zu haben. Immerhin ist ein ehernes Kölsches Gesetz: Echte Fründe stonn zusammen. Wir setzen uns mit ihm unter eine Palme in der Nähe.
Eine Stunde später eilen wir mit seiner Visitenkarte, unserem Gepäck und in großer Bedrängnis die Treppen zu unserem Zimmer hinauf.

Wir sehen Ragul schon am nächsten Tag wieder. Er winkt fröhlich herüber, als ein Schneider auf der Hauptstraße Petras Rucksackträger repariert. Ach, du liebe Zeit, wie hat der uns denn nur so schnell wieder gefunden?
„When you visit my shop?“, fragt Ragul und lächelte etwas zu breit. „Make good journey, make good price for you, my friend!“

Der Schneider, ein junger Mann ebenmäßigen Gesichtszügen, stellt sich als Subramaniyam vor und versichert uns, dass er uns nichts verkaufen will. Dann bittet er uns in das Geschäft seines Bruders nebenan, einen nach Räucherstäbchen duftenden, mit kleinen Shivafiguren und Silberschmuck voll gestopften Laden. Er wolle uns etwas Wichtiges zeigen. Aus einer Vitrine mit kristallbesetzten Meditationsstäben reicht er uns etwas, das wie eine messingfarbene Salatschüssel aussieht.
„Is good for chakra, you know chakra?“, fragt er und zieht einen mit gemusterter Seide bezogenen Hocker heran. „Sit here, I show you.“
Er bittet mich, die Augen zu schließen und schlägt mit einem filzbezogenen Klöppel an die Salatschüssel, je drei Mal vor meinem Kopf, Hals und Bauch. Es dröhnt stark und ist gar nicht unangenehm. Aus einem unerfindlichen Grund erinnere ich mich plötzlich an meine erste große Liebe, einen Bassisten.
„Is not only good for you but for all your family“, sagt er, nachdem er Chakra-Chakra gemacht hatte. „Five minute every day!“
„What costs it denn?“, frage ich vollkommen überrumpelt, und Subramaniyam zückt Block und Stift, um zu rechnen, und schiebt mir dann den Taschenrechner mit dem Preis in Euro hin: 362, steht dort.
„But I make good price for you, my friend.“
Das kommt mir vage bekannt vor.

Petra übernimmt und manövriert mich aus dem Laden hinaus.
„Wir können keine Einskommafünfkiloschüssel im Rucksack bis nach Mumbai schleppen“, sagt sie.
Dieser Logik kann ich mich nicht verschließen.
Ragul winkt wieder von gegenüber, Subramaniyam ruft uns hinterher: „I see you next day, friends!“ Wir ziehen die Köpfe ein.

Tags darauf wollen wir zur Tiger Cave, einer Höhle, die von neun in den Stein gehauenen Tigerköpfen eingerahmt wird und in deren Inneren sich ein Schrein für die Göttin Durga befindet. Um uns dem verkäuferischen Talent von Ragul und der subtilen Verführung Subramaniyams zu entziehen, nehmen wir uns ein Tuk Tuk, das uns ein wenig abgeschirmt durch den Stadtkern und die fünf Kilometer nach Norden fahren wird.
„You go Tiger Cave and I bring you Corkodibunk!“, verkündet der Fahrer, ein kleiner älterer Mann mit silbernen Strähnen im pomadigen Haar.
„No, no Crocodile Bank“, ruft Petra, während ich noch überlege, was wohl ein Corkodibunk sein mag. „We only want to see the Tiger Cave!“ Sie raunt mir zu: „Die Krokodilfarm ist doch fast zwanzig Kilometer weg – und außerdem will ich keine eingesperrten Tiere sehen.“
„But other tourist go Corkodibunk, like it“, insistiert der Mann. „You go Corkodibunk.“
Wir schütteln synchron die Köpfe und handeln mit ihm einen fairen Preis von 250 Rupien für die Fahrt zu den Tigerköpfen aus.
Ich bin noch nie Tuk Tuk gefahren und halte wie ein beglückter Cockerspaniel die Nase in den Wind, der durch die offenen Seiten des dreirädrigen Gefährts dringt. Ab und an zuckt Petra zusammen, weil ein Wagen auf der Gegenfahrbahn uns beim Überholen beinahe rammt.

Die Tigerhöhle ist den Ausflug wert. Die in Stein gemeißelten Köpfe blicken majestätisch auf uns herab, und es gibt sogar noch eine frische Ausgrabungsstätte eines Tempels in der Nähe und eine Bonushöhle mit einer Lingamskulptur, dem besten Stück von Shiva. Petra posiert mit dem Phallus, dann gehen wir zurück zum Parkplatz, wo unser Fahrer wartet. Die Rückfahrt ist noch mal ein Highlight für alle, die zum ersten Mal Tuk Tuk fahren. Also für mich.

Wir haben es geschafft: Ohne mit Subramaniyam und Ragul zusammenzutreffen, sind wir wieder am Hotel angekommen, haben keine Klangschale kaufen und keine Reise buchen müssen. In meiner Erleichterung frage ich unseren Chauffeur, ob Petra von uns ein Foto machen dürfe – er sei immerhin mein erster Tuk-Tuk-Fahrer. Strahlend willigt er ein und wir knipsen ein Foto, dann bekommt er sein Geld. Endlich einer, der sich nicht an uns hängt!

Erst, als wir schon fast an der Tür vom Hotel stehen, ruft er uns hinterher: „Hey, you want my mobile number? I give you mobile number, you call me when need taxi. I make good price for you, my friend!“

Wir drehen uns nicht um. Höchste Zeit, dass wir uns auf den Weg nach Pondicherry machen. Mal sehen, ob unsre drei Freunde Artikel 4 des Kölschen Grundgesetzes kennen: „Wat fott es, es fott.“

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