Shiva Colonia beim Travel Slam am 21.5.2015

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Liebe Freunde fremder Länder und fröhlicher Kulturen,

auf zum nächsten Travel Slam in Köln!
Denn wir haben uns auf eine Reise begeben, die uns verändert hat – und unser Gewürzregal.

Davor hielten wir Rievkooche für den kulinarischen Gipfel.
Und wir wussten: Wer wahre Erleuchtung sucht, schaut ins Kölsche Grundgesetz.
Vom Leben im Hier und Jetzt – “Et es wie et es!” – bis zur Akzeptanz der Vergänglichkeit – “Wat fott es, es fott.” – in diesen Sätzen findet jeder Jeck Rat.
Aber gelten die weisen Worte auch außerhalb der Domstadt?

Sechs Wochen lang haben wir das ausgetestet – in Indien.
Denn kein Ort wäre dafür besser geeignet als das Land, das die Erleuchtung quasi erfunden hat.
Bei dem, was wir auf unserer Reise erlebt haben, könnt ihr jetzt dabei sein, denn wir nehmen euch mit!
Und zwar am 21.5.2015 ab 20 Uhr in der Zentralbibliothek in Köln am Neumarkt!

Mehr über unsere Reise: www.shiva-colonia.de
Und hier findet ihr auch ein besonderes Video-Special!
Petra hat sich nämlich skurrile Figuren einfallen lassen, die ihre eigenen Erfahrungen in Indien machen:
Drei Frauen, die gemeinsam einen Kundalini-Yoga-Kurs an der Volkshochschule Köln besuchen und sich auf Anraten ihres Gurus Rainer den nächsten Flieger geschnappt haben …

Viel Spaß, Alaaf und Namaste!
Anne & Petra

Fahr oder stirb

„Kann es sein, dass unser Busfahrer ein Raser ist?“, ruft Anne, während sie in der Kurve an die Fensterseite geschleudert wird.
Mich drückt die Fliehkraft an ihre linke Schulter. „Ja, für die 110 Rupien kriegen wir auf dieser Rennpiste wirklich einiges geboten!“
Von Kottayam nach Kumily sollte es gehen, aber ob wir dort in einem Stück ankommen, bezweifle ich. „Diese Schütteltour müssen wir noch über vier Stunden aushalten!“

In der nächsten Kurve rutsche ich fast von meinem Platz.
Anne runzelt die Stirn. „Das ist doch noch gar nix. Vor der Fahrt durchs Gebirge habe ich Angst.“
Sie setzt sich auf und deutet mit dem Kopf auf den akkurat in Khaki-Uniform gekleideten Fahrer, direkt vor uns. Sicher und fest thront er auf seinem Sitz und düst schnittig durch die Kurven von Kottayam.
„Der scheint es drauf angelegt zu haben, hier ein Rennen zu gewinnen.“
Wahrscheinlich hat Anne recht, denn unterstützt durch ständiges Hupen überholt er selbstbewusst jeden anderen Verkehrsteilnehmer vor uns und lässt dabei das Lenkrad geschmeidig durch die Finger gleiten. Ab und an hüpft sein Oberlippenbart nach oben, denn er schwatzt und lacht mit den Fahrgästen neben ihm.

„Jetzt weiß ich, das ist Racing Joe!“, ruft Anne nach einem besonders waghalsigen Überholmanöver. „Der verdient damit sein Geld.“
Ich muss lachen. Der Name gefällt mir.
Meine Freundin krallt sich mit der rechten Hand an den türkisfarbenen Gittern der offenen Fenster fest, um nicht mit dem Kopf dagegen zu schlagen. Dabei reißt sie sich an einem offen stehenden Nagel den Handrücken auf. Es blutet.
Ich hole sofort ein Pflaster aus meinem Rucksack und verarzte die Wunde.
„Mann“, stöhnt sie, „eine kaputte Hand kann ich ebenso wenig gebrauchen wie eine Gehirnerschütterung.“
Na klar. Je lädierter wir in den West-Ghats ankommen, umso unwahrscheinlicher wird die geplante Trecking Tour durch den Periyar Nationalpark.
Rums!
Anne knallt wieder mit der rechten Schulter gegen das Fenstergitter und ohne dass ich es verhindern kann, drücke ich sie noch ein bisschen stärker dagegen.
„Autsch!“

Eine halbe Stunde später sind wir in den gefürchteten Bergen.
Racing Joe legt sich in die Serpentinen wie ein Rennfahrer auf der Piste. Unerschrocken schneidet er die Kurven und zieht auf der schmalen Fahrspur sogar an LKWs und Bussen vorbei.
Verkehrsschilder mit Totenköpfen drauf warnen vor unachtsamem Fahren. Der weiße Mittelstreifen bedeutet auch in Indien Überholverbot.
„Go slow!“ oder „Dangerous zone“ steht auf den Achtungsschildern. Die Geschwindigkeitsgrenze sind 30 Stundenkilometer. Das alles scheint unseren Busfahrer nicht zu interessieren.
Vor uns kommt ein Laster zum Stehen.
Racing Joe macht eine Vollbremsung.
„Ahhh!“, schreie ich.
Racing Joe blickt sich zu mir um, wackelt mit dem Kopf und gibt wieder Gas.
Anne lacht bei diesem Anblick schrill. Ihr Blick hat etwas Irres.
Mir ist übel vor Angst.
„Et kütt, wie et kütt“, verkündet meine Freundin und lacht wieder ganz komisch.
„Also Tod oder Leben?!“, antworte ich erschreckt.
Racing Joe hupt erneut und zieht mit Vollgas in die nächste Kurve.

Annes Lachen verebbt. Sie verzieht das Gesicht und kramt ein Schächtelchen mit Ohrenstöpseln aus ihrer Tasche.
„Ich kann dieses Gehupe nicht mehr ertragen“, sagt sie und bietet mir auch ein paar an.
„Was hatte ich für ein schönes Leben!“, antworte ich. „Danke allen, die mich geliebt haben! Aber meine letzten Lebensminuten will ich mit allen Sinnen erleben.“
Und so lehne ich Annes Angebot dankend ab.
„Ich sehe schon die Headline in den deutschen Medien vor mir“, rufe ich in ihre Richtung: „Indischer Bus in den West-Ghats verunglückt. Auch Deutsche unter den Opfern …“
„Ich hör nix!“, schreit Anne.
„Willst du auch noch meine Schlafbrille?“ brülle ich ihr ins Ohr.
Aber das Hupen übertönt alles, und Anne schließt die Augen auch so.

Na, super. In existenziellen Augenblicken seines Lebens ist der Mensch immer allein.
Ich blicke unserem Fahrer über die Schulter und habe durch die Frontscheibe beste Aussichten auf das schwarze Auto, das sich laut hupend an uns vorbeidrängt. Das kann Racing Joe nicht zulassen und veranstaltet ein Wettrennen. Ein Bus kommt uns entgegen.
Voller Entsetzen starre ich auf die Szene.
Wir rauschen um Haaresbreite an ihm vorbei.
Ich sehe mich um, die Insassen lächeln entspannt. Einige winken.

Racing Joe schwatzt gerade mit einem kleinen Dicken in gestreiftem Hemd und dunkler Hose und einem langen Dünnen, der lässig auf dem Motorkasten neben ihm herum lümmelt. Beide tragen den in Kerala obligatorischen Schnäuzer.
Der Dünne hat das landestypische, karierte Tuch um seine Beine zum Mini geschlungen und trägt dazu ein leuchtend gelbes Hemd, an dem die Bügelfalten noch etwas abstehen. Er lässt einen Spruch nach dem anderen ab. Racing Joe ergänzt. Dann der Dicke. Der Lacher sitzt.

Vielleicht ein Comedytrio, das seinen Auftritt probt?
Vielleicht sind wir im Film?
Dann wäre alles nur eine Show? Anne und ich wären Bollywood-Komparsen und die ganze Fahrt hier hätte Netz und doppelten Boden? Verstünden wir Hindu, könnten wir über die Witze vielleicht auch lachen.

Nein. Ich möchte, dass Racing Joe seine Aufmerksamkeit nach vorn richtet und es mit dem Berg etwas ruhiger angeht.
Macht er aber nicht. Er redet und lacht und hupt und überholt.
„Do laachs de disch kapott!“, sagt das 11.Kölsche Grundgesetz und meint, dass mit Humor alles leichter geht. Was denn leichter? Unser Sturz in die Schluchten dieser wunderbar grün üppigen Dschungellandschaft?
Ich blicke mich um. Viele Fahrgäste schlafen bereits.
Anne summt ein Lied.

Vor uns baumelt Gott Shiva von der Busdecke. Jemand hat ihn mit einer Blumenkette geschmückt. Ob die Götter uns helfen und diese Fahrt gut ausgehen lassen?
Wums!
Ich lande auf Annes Schoß.
Sie nimmt einen Stöpsel aus ihrem Ohr. „Ich will aussteigen“, sagt sie entschieden. „Wir müssen irgendwie anders weiterkommen.“

Klar, man kann ja sein Schicksal selbst in die Hand nehmen.
Sei offen für Neues, Petra! „Et blievt nix, wie et wor“, rät doch das fünfte Kölsche Grundgesetz.
Nimm deinen Rucksack und steig aus!
Doch ehe wir in der Lage sind, uns an der nächsten Haltestelle zu erheben, sitzt plötzlich eine rundliche Inderin neben uns.
So eingequetscht können Anne und ich nicht nach links und nicht nach rechts fallen.
Die Frau lächelt uns freundlich zu und packt ihren Reiseproviant aus: Kekse, Nüsse, Honig-Erdnuss-Stangen, Mandarinen, Papadams… alles wird schwesterlich mit uns geteilt. Ich bedanke mich jedes Mal überschwänglich und futtere all diese Köstlichkeiten in mich hinein.
Anne kriegt nichts runter vor Angst.

Schade, dass unsere Nachbarin an der nächsten Haltestelle aussteigt. Ich bin vom Essen paralysiert und unfähig, mich ebenfalls zu erheben, Anne hält die Augen wieder geschlossen. Lange winkt uns die Frau nach.
Sofort werden unsere Plätze wieder zu Schleudersitzen.

In irgendeinem Bergnest hält der Bus wieder.
„Wir wollten doch raus!“, schreie ich.
Anne reißt die Augen auf und nickt.
Abrupt stehen wir auf, schnappen unsere Rucksäcke und verlassen den Bus.
Racing Joe guckt verwirrt. „No Kumily“, ruft er. „No Kumily!“

Und nun?
Anne geht an einem Straßenbüdchen Kuchen kaufen. Ich hole Tee.
Wir sind immer noch gut zwei Fahrtstunden von unserem Ziel entfernt. Ein großer VIP-Bus hält neben uns.
„Komm, den nehmen wir!“, rufe ich Anne zu und sie rafft ihre Sachen zusammen.

Nicht jeder Busfahrer ist schließlich Racing Joe. Denken wir.
Stimmt auch. Dieser will Flying Joe sein.
Vor seinem Abflug hat er Musik aufgelegt. Indische Hits. Die haben wir schon öfter gehört. Die Sängerin trällert mit Mickymausstimme zu leiernden Gitarrentönen.
Ich bin im Wahn und singe mit, bis Anne mich bittet, aufzuhören – sie erträgt die Doppelbelastung nicht länger.
So düsen wir durch das Gebirge: Links neben uns die Felsen, rechts die Schluchten. Dazwischen Überholmanöver. Wir mittendrin. Und um uns eine traumhaft schöne Landschaft.
Zu schummeriger Stunde erreichen wir das Städtchen Kumily.
Wir steigen aus und sind sehr blass um die Nasen. Und wissen nun, dass ein Kölsches Gesetz tatsächlich stimmt:

Et hätt noch immer jot jejange!

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Freunde, wir werden gestalkt!

Wir sind auf dem Weg zu unsrem Hotel in Mamallapuram, als uns ein dringendes menschliches Bedürfnis plagt. Fast haben wir das weiß getünchte Haus mit den schmalen Balkonen schon erreicht, als uns ein fülliger, gut gekleideter Mann in ein Gespräch verwickelt. Zu unserer Verblüffung verrät er uns nach ein wenigen Minuten, dass er Ragul heißt, Reisekaufmann ist und Touren durch den Süden von Indien anbietet.
„I have driver taxi see all beautiful places in Tamil Nadu“, sagt er, während wir von einem Bein aufs andre treten. „You friends sit here I make good price.“
Zwar in Nöten, sind wir dennoch erfreut, in der Fremde so schnell einen Freund gefunden zu haben. Immerhin ist ein ehernes Kölsches Gesetz: Echte Fründe stonn zusammen. Wir setzen uns mit ihm unter eine Palme in der Nähe.
Eine Stunde später eilen wir mit seiner Visitenkarte, unserem Gepäck und in großer Bedrängnis die Treppen zu unserem Zimmer hinauf.

Wir sehen Ragul schon am nächsten Tag wieder. Er winkt fröhlich herüber, als ein Schneider auf der Hauptstraße Petras Rucksackträger repariert. Ach, du liebe Zeit, wie hat der uns denn nur so schnell wieder gefunden?
„When you visit my shop?“, fragt Ragul und lächelte etwas zu breit. „Make good journey, make good price for you, my friend!“

Der Schneider, ein junger Mann ebenmäßigen Gesichtszügen, stellt sich als Subramaniyam vor und versichert uns, dass er uns nichts verkaufen will. Dann bittet er uns in das Geschäft seines Bruders nebenan, einen nach Räucherstäbchen duftenden, mit kleinen Shivafiguren und Silberschmuck voll gestopften Laden. Er wolle uns etwas Wichtiges zeigen. Aus einer Vitrine mit kristallbesetzten Meditationsstäben reicht er uns etwas, das wie eine messingfarbene Salatschüssel aussieht.
„Is good for chakra, you know chakra?“, fragt er und zieht einen mit gemusterter Seide bezogenen Hocker heran. „Sit here, I show you.“
Er bittet mich, die Augen zu schließen und schlägt mit einem filzbezogenen Klöppel an die Salatschüssel, je drei Mal vor meinem Kopf, Hals und Bauch. Es dröhnt stark und ist gar nicht unangenehm. Aus einem unerfindlichen Grund erinnere ich mich plötzlich an meine erste große Liebe, einen Bassisten.
„Is not only good for you but for all your family“, sagt er, nachdem er Chakra-Chakra gemacht hatte. „Five minute every day!“
„What costs it denn?“, frage ich vollkommen überrumpelt, und Subramaniyam zückt Block und Stift, um zu rechnen, und schiebt mir dann den Taschenrechner mit dem Preis in Euro hin: 362, steht dort.
„But I make good price for you, my friend.“
Das kommt mir vage bekannt vor.

Petra übernimmt und manövriert mich aus dem Laden hinaus.
„Wir können keine Einskommafünfkiloschüssel im Rucksack bis nach Mumbai schleppen“, sagt sie.
Dieser Logik kann ich mich nicht verschließen.
Ragul winkt wieder von gegenüber, Subramaniyam ruft uns hinterher: „I see you next day, friends!“ Wir ziehen die Köpfe ein.

Tags darauf wollen wir zur Tiger Cave, einer Höhle, die von neun in den Stein gehauenen Tigerköpfen eingerahmt wird und in deren Inneren sich ein Schrein für die Göttin Durga befindet. Um uns dem verkäuferischen Talent von Ragul und der subtilen Verführung Subramaniyams zu entziehen, nehmen wir uns ein Tuk Tuk, das uns ein wenig abgeschirmt durch den Stadtkern und die fünf Kilometer nach Norden fahren wird.
„You go Tiger Cave and I bring you Corkodibunk!“, verkündet der Fahrer, ein kleiner älterer Mann mit silbernen Strähnen im pomadigen Haar.
„No, no Crocodile Bank“, ruft Petra, während ich noch überlege, was wohl ein Corkodibunk sein mag. „We only want to see the Tiger Cave!“ Sie raunt mir zu: „Die Krokodilfarm ist doch fast zwanzig Kilometer weg – und außerdem will ich keine eingesperrten Tiere sehen.“
„But other tourist go Corkodibunk, like it“, insistiert der Mann. „You go Corkodibunk.“
Wir schütteln synchron die Köpfe und handeln mit ihm einen fairen Preis von 250 Rupien für die Fahrt zu den Tigerköpfen aus.
Ich bin noch nie Tuk Tuk gefahren und halte wie ein beglückter Cockerspaniel die Nase in den Wind, der durch die offenen Seiten des dreirädrigen Gefährts dringt. Ab und an zuckt Petra zusammen, weil ein Wagen auf der Gegenfahrbahn uns beim Überholen beinahe rammt.

Die Tigerhöhle ist den Ausflug wert. Die in Stein gemeißelten Köpfe blicken majestätisch auf uns herab, und es gibt sogar noch eine frische Ausgrabungsstätte eines Tempels in der Nähe und eine Bonushöhle mit einer Lingamskulptur, dem besten Stück von Shiva. Petra posiert mit dem Phallus, dann gehen wir zurück zum Parkplatz, wo unser Fahrer wartet. Die Rückfahrt ist noch mal ein Highlight für alle, die zum ersten Mal Tuk Tuk fahren. Also für mich.

Wir haben es geschafft: Ohne mit Subramaniyam und Ragul zusammenzutreffen, sind wir wieder am Hotel angekommen, haben keine Klangschale kaufen und keine Reise buchen müssen. In meiner Erleichterung frage ich unseren Chauffeur, ob Petra von uns ein Foto machen dürfe – er sei immerhin mein erster Tuk-Tuk-Fahrer. Strahlend willigt er ein und wir knipsen ein Foto, dann bekommt er sein Geld. Endlich einer, der sich nicht an uns hängt!

Erst, als wir schon fast an der Tür vom Hotel stehen, ruft er uns hinterher: „Hey, you want my mobile number? I give you mobile number, you call me when need taxi. I make good price for you, my friend!“

Wir drehen uns nicht um. Höchste Zeit, dass wir uns auf den Weg nach Pondicherry machen. Mal sehen, ob unsre drei Freunde Artikel 4 des Kölschen Grundgesetzes kennen: „Wat fott es, es fott.“

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The Constitution of Cologne als Exportschlager

Wir hätten nie gedacht, wie schnell es geht: Kaum, dass wir mit vom Flug geschwollenen Füßen indischen Boden berührt haben, werden wir von der Relevanz des Kölschen Grundgesetzes nahezu überrollt: Am Flughafen in Chennai drückt uns ein leger Uniformierter gleich drei Formulare ins verschwitzte Händchen. Et es, wie et es – das muss ausgefüllt werden.

Oha. Dabei hatten wir doch am heimischen Schreibtisch in Köln schon so viel Spaß mit der indischen Bürokratie. Um den dreiseitigen Antrag auf ein Visum auszufüllen, war zumindest ein Grundstudium in Formularistik notwendig. Da gehörte die Frage, ob unsere Großeltern aus Pakistan stammen, noch zu den einfacheren. Wer weiß schon auf Anhieb mit Sicherheit zu sagen, welche mittleren Vornamen und Geburtsorte sich in den Ausweisen der eigenen Eltern verbergen? Zumindest eine von uns beiden überlegte, ob es unverdächtiger sei, für die Angabe des Geburtsortes ihres Vaters – früher Deutschland, heute Polen – die heutigen Grenzen zu ignorieren. Dazu kam, dass ich nachträglich aufgefordert wurde, ein Journalistenvisum zu beantragen, wohlgemerkt zusammen mit der eidesstattlichen Versicherung, dass ich in Indien keiner journalistischen Arbeit nachgehen werde. Um dann in meinem Pass das Touristenvisum einer Frau G. vorzufinden, die allenfalls vage Ähnlichkeit mit mir besitzt.

In den Flughafenformularen müssen wir einige Fragen des Visum-Antrags zur Sicherheit noch mal handschriftlich beantworten, uns mit unerklärlichen Abkürzungen herumschlagen und angeben, ob wir unter Ebola leiden. Als wir an den sehr gepflegt, aber provisorisch anmutenden Ebola-Schalter treten, um das Formular abzugeben, sitzt dort keiner mehr. Wat soll dä Quatsch?

Raus aus dem Flughafen in die versmogte Luft der Großstadt. An einem Pre-Paid-Taxistand verkauft uns ein Mann die Fahrt nach Mamallapuram für 1500 Rupien. Dann ruft er zum Mitverdienen einen Herrn, der uns die zehn Meter zu den Taxis führt. Der Taxifahrer wird ausgelost, so scheint es uns, weil es einiges Herumgeschiebe von Quittungen und so etwas wie ein freundliches Handgemenge gibt. Der Sieger, ein Mann mittleren Alters, zwinkert und zuckt während der Fahrt so lange, bis Petra versteht, dass er sie nicht anbaggern will, sondern möglicherweise an einer leichten Form der Epilepsie leidet. Wir fühlen uns in seinem Wagen dennoch sicher: Er umfährt alle auf der Straße stehenden Kühe weiträumig. Gerne gestatten wir ihm, für einen Teller Dal an einer Straßenküche anzuhalten.

Da Mamallapuram nur ein kleiner Küstenort ist, finden wir das Hotel Daphne recht schnell. Wir sind mitten im Partyquartier gelandet, aber das Hotel hat einen bezaubernd begrünten Innenhof, in dem es sehr ruhig ist. Nachdem wir ihn genügend bewundert haben, ist das Zimmer bereit und wir fallen aufs Bett wie ins Koma.

Zwei Stunden später schälen wir unser Gepäck aus dem Rucksack, richten uns ein und gehen dann im Ort spazieren. Frauen wie Männer in bunter Kleidung bieten selbst hergestellten Schmuck feil. Vor dem Laden eines Steinmetz‘ sehen wir neben dem Abbild einer Riesenkuh, deren Hals gleich mit drei Glocken geschmückt ist, ein lebendiges Rindvieh ein Stück Plastik wiederkäuen.

Es ist ähnlich verschmutzt wie in Köln nach den tollen Tagen, bevor sich die Stadtreinigung erbarmt. Und es dauert nicht lange, bis uns jemand den Weg zum Strand zeigt, nachdem wir ein paar Mal zufällig Touristenführer erwischen, die lieber über ihre günstigen Angebote sprechen.

Am Strand ist viel los: Bei den Verkäufern von Ketten und Tüchern üben wir Gelassenheit und ein schräges Kopfnicken, in Verbindung mit einem Schulterzucken, das laut Reiseführer für Verwirrung sorgt, weil es weder Interesse signalisiert noch unfreundlich ist. Plötzlich treten vier junge Inder auf uns zu, die ein Foto mit uns machen möchten. Diese Situation ist zumindest Petra nicht ganz fremd, und so fühlen wir uns praktisch jetzt schon wie zu Hause. Fehlt nur die Aussicht op d’r Dom – aber wozu gibt es Tempelanlagen aus dem 7. Jahrhundert?

Ausgehungert treffen wir im Blue Elephant Café eine Amerikanerin, die für ihre Firma in Chennai Mitarbeiterschulungen durchführt. Sie lässt sich vom Kellner einen blauen Krebs an den Tisch bringen, der sich bewegt. Schon eine Viertelstunde später hat er das Zeitliche gesegnet und liegt in einer roten Soße auf ihrem Teller.

An der Wand fixiert ein dicker beiger Gecko einen Strom Ameisen, während wir mit der Krebsverschlingerin plaudern. Sie will wissen, warum wir uns Indien als Reiseziel ausgesucht haben, und wir erklären unseren Plan. Seltsamerweise hat sich das Kölsche Grundgesetz in den USA noch immer nicht durchgesetzt. Wir schlagen ein Hollywood-Remake vor, das dann sicher ein ähnlicher Kassenschlager wird wie „The Shack“ und „The Secret“ – vielleicht hat ja Brad Pitt Lust auf die Verkörperung von Willy Millowitsch. „The Constitution of Cologne“, das wär doch was. Aber wir exportieren die Idee nur, wenn das Kölsche Grundgesetz hier weiter läuft wie geschnitten Naan …

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Was haben wir vor?

Mantra, Mantra – mit dem Kölschen Grundgesetz durch Indien

Wir Rheinländer wissen: Wer wahre Erleuchtung sucht, schaut ins Kölsche Grundgesetz. Vom Leben im Hier und Jetzt – „Et es wie et es!“ – bis zur Akzeptanz der Vergänglichkeit – „Wat fott es, es fott.“ – in diesen Sätzen finden wir Jecken für jede Lebenslage Rat.
Aber gelten die weisen Worte auch außerhalb der Grenzen der Domstadt?

Das wollen wir – Switch-Comedienne Petra Nadolny und Autorin Anne Weiss („Generation Doof“) – herausfinden. Und welcher Ort wäre dafür besser geeignet als das Land, das die Erleuchtung quasi erfunden hat: Indien. Was uns dort geschieht, erfahrt ihr in diesem Blog – do laachs de disch kapott!

6 Wochen, 5 Frauen, 1 Projekt: Das ist Shiva Colonia!

Opjepass! Wir zwei sind nicht allein unterwegs: Mit uns reisen Sybille Herkenrath, Marion Radetzky und Hannelore Schmitz. Drei Frauen von Format, die gemeinsam einen Kundalini-Yoga-Kurs an der Volkshochschule besuchen und sich auf Anraten ihres Gurus Rainer den nächsten Flieger geschnappt haben. Sie berichten euch live von ihren Erlebnissen. Wundert euch nicht, wenn sie alle ganz, ganz leichte Ähnlichkeit mit Petra Nadolny haben. Alles Inzucht hier in Köln.